19.06.2015 Okotoks nach Nanton

Natürlich bin ich nicht so früh losgekommen, dass sich die Strecke bis Fort Macleod realistisch hätte machen lassen. Um kurz nach 10 war ich aber zumindest schon mal beim lokalen Ableger von Tim Hortens, den ich zwecks Frühstück und Kaffee angesteuert habe, angekommen.

Ich schleich mich mit meinem Fahrrad gerade über den Parkplatz, ich finde es nicht immer ganz einfach, herauszufinden, wo man jetzt gerade in welche Richtung fahren darf. Das liegt an den kunterbunt verteilten Parkplatzein- und -ausfahrten zwischen die sich dann noch die Drive Through Lane zwängt. Also wechsle ich immer mental in den Fußgängermodus und tu so, als ob ich eh überall fahren dürfte. Jedenfalls bin ich gerade auf Schleichfahrt, als mich aus einem offenen Autofenster jemand anspricht.

Wo willst du heute noch hin? Ich wende und fahre zum Beifahrerfenster. Danke dass du zurückgekommen bist. Ich sage, dass ich eigentlich bis Fort Macleod wollte, es aber wohl eher nicht schaffen werde. Es entwickelt sich ein Gespräch und der Typ, ein älterer Herr, vielleicht Ende 50, fragt mich Löcher in den Bauch, wo ich herkomme, wo ich hinfahre, was ich arbeite, … Jedenfalls ist er hellauf begeistert und meint, er möchte mich auf einen Kaffee bei Tim Hortens einladen, zückt sein Portemonnaie und hält mir 20 Dollar hin.

Jetzt muss ich etwas ausholen. Etwas sehr ähnliches ist uns, Gerald und mir, schon mal passiert. Ein Typ hält an, unterhält sich mit uns, und zückt 20 Dollar. Mit den Worten, Fahrradfahrer haben nie Geld. Will er uns den Schein in die Hand drücken. Wir lehnen ab, sagen, dass wir eigentlich schon genug Geld haben, usw. Am Ende steckt der Typ den Schein weg und ist leicht angepisst. Steigt in sein Auto und ist weg.

Ich hab dem Typen heute ja bereits erzählt, was ich arbeite. Dennoch habe ich ihm nochmal gesagt, dass ich wirklich nicht arm bin, aber er wollte nicht von seinem Plan ablassen. Also habe ich die 20 Dollar genommen und mich herzlich bedankt. Er meinte noch, dass er mir das Geld geben möchte, weil ich eine Inspiration für ihn und alle Kanadier wäre.

Wow. Das zieht einem dann doch den Boden unter Füßen weg. Geht runter wie Öl. Jedenfalls habe ich den Kaffee dann auf ihn getrunken.

Und wieder einmal hat die Inspiration nur gut 50 km geschafft. Ein bisschen Schuld war aber auch ein heftiges Gewitter, das sich, von den Rockies aus Westen kommend, vor mich geschoben hatte. Zum Glück war ich gerade in der Nähe eines Tim Hortons, so dass ich das Nützliche, Flucht vor den Gewitter, mit dem Angenehmen, ein leckeres Chili mit einer Art Vollkornbrötchen, verbinden konnte.

Mein zweiter Tim Hortons innerhalb von zwei Stunden. Dort konnte ich das Gewitter aussitzen und danach, ohne auch nur ein bisschen nass geworden zu sein, meine Fahrt fortsetzen.

Ich muss jetzt ein paar Worte zu dieser Kette, Tim Hortons, loswerden. Ich hab mich mit der Firmengeschichte nicht beschäftigt, obwohl überall Fotos und so Zeugs vom Firmengründer, Tim Horton, herumhängen, und man mit Sicherheit sehr gerne davon berichten würde.

Jedenfalls scheint sich dieser Mensch in den Kopf gesetzt zu haben, einen vernünftigen Kaffee anzubieten. Mit Erfolg. Der Kaffee ist echt gut. Filterkaffee vom Feinsten. Nicht diese dünne, seit drei Stunden auf dem Herd vor sich hinsimmernde Plörre, wie man sie üblicherweise in amerikanischen Diners bekommt. Wer will kann sich den Kaffee natürlich auch mit irgendwelchen Flavours versauen lassen, aber man muss ja nicht alles mitmachen.

Die ersten Tage in Kanada kannte ich die Kette noch nicht. Üblicherweise befinden sich immer alle Schnellrestaurants am Rande eines Ortes, neben dem Highway, um möglichst viele Kunden zu erreichen. Innerhalb von vielleicht 500 Metern konzentrieren sich also die üblichen Verdächtigen. Mac D, A&W Burger, Subway, Denny's, DQ, eventuell noch weitere, lokale Restaurants, und natürlich Tim Hortens.

Bevor ich überhaupt wusste, was der Schuppen zu bieten hat, Autoreifen, Zeitschrift oder Burger, nebenbei bemerkt, keines von alledem, ist mir aufgefallen, dass der Laden in der Zeit von 9 bis 12 den Verkehr lahmlegt. Während bei den anderen Schnellrestaurants meist maximal ein Auto auf dem Parkplatz stand und die Drive Through Lane gähnend leer war, waren bei den Tim Hortens immer sämtliche Parkplätze belegt, und die Schlange der Autos, die auch noch unbedingt mit rauf wollten, staute sich zurück bis auf die Straße. Das musste ich mir natürlich ansehen.

Das ist aber gar nicht so leicht. Zwar habe ich mit Rad keine Parkplatzprobleme, aber wenn man das Restaurant betritt, dann reicht die Schlange der Wartenden oft bis zur Tür. Man hat extra schon Absperrbänder installiert, um die Kunden koordiniert in Schlangenlinien auf dem verfügbaren Platz zu parken.

Wenn man es dann aber einmal geschafft hat an einer Kasse zu landen, dann geht der Spaß erst richtig los. Gerald und ich sind uns einig, man müsste für Kanadaneulinge einen Immigrationskurs „Tim Hortons for beginners“ anbieten. Unter der Decke hängen schon mal Fernseher, die die ca. jeweils 10 Frühstück und Lunch Angebote präsentieren. Man weiß zumindest schon mal ungefähr was man kriegt. Ok. Versuchen wir es einmal.

Number 4 combo please. Dabei handelt es sich in seiner Frühstücksvariante, Nummer 4 gibt's auch als Lunch, aber sie sich daraus ergebenden Komplikationen sind für den fortgeschrittenen Kurs, um eine Art englisches Frühstück mit Rührei, Speck und Brötchen. Das ganze natürlich, den Drive Through Gästen sei es gegönnt, in einer autofahrerfreundlichen Variante. Das Rührei hat die Form eines Fladens von der Größe des Brötchens und befindet sich zusammen mit dem Speck bereits perfekt positioniert zwischen der oberen und unteren Hälfte von eben diesem. Form, OK, interessant. Geschmack, Wow. Schon allein das Brötchen, ok, kein Pfister Vollkorn, aber von dem labbrigen Flatsch der anderen Ketten soweit weg, wie Russland von Demokratie.

Aber wir sind ja noch gar nicht fertig mit Bestellung.

To stay, or to go? – äh, nein nein, schon hier, ich kann das doch auf dem Fahrrad nicht transportieren. Und einmal am Tag auf einem richtigen Stuhl sitzen. Warum denkt ihr bin ich hier? To stay, please.

What do you want to drink? – Blöde Frage. Coffee, please! Wir wollen ja höflich bleiben. – Okay. Wieder so ein Tourist. Small? Medium? Large? X-Large? – Ah. Ok. Hm. Large, please! – Manno, mein Glückstag. What kind of coffee? Regular, dark or decaf? – Wow, hm. Dark, please. – Da werde ich mich wieder bei meinem Schichtleiter verantworten müssen, warum das wieder so lange gedauert hat. Do you want cream and sugar? – äh, was? Ah, ok. Just cream, please.One or two cream? – äh. One, please.

Damit wäre es eigentlich geschafft. Nur noch die obligatorische Frage nach eventuellen Extrawünschen. Umsatz ist Umsatz.

Something else? – Oh, ah. Vorsicht. Jetzt wird das Eis sehr dünn. Hier kann man folgenschwere Fehler begehen. Yes. Could I get a Honey Dip Donut, please? – ok, was hat man mir beigebracht muss ich fragen? Do you want this as a replacement for the Hash Brownie?

Dies ist eine klassische Stelle, an der sich, zumindest für Anhänger der Multiversumstheorie, das Universum teilt.

1) man hat noch nie einen Hash Brownie gegessen: Was zum Teufel ist ein Hash Brownie? Ich kenne nur Brownies, extrem konzentrierte Kalorien in Form einer Art Schokokuchen. Ich brauche zur Zeit jede Kalorie die ich kriegen kann, ich will heute noch 50 km fahren. No, additionaly, please!

2) man hat bereits einen Hash Brownie gegessen: BIST DU WAHNSINNIG, ERST MACHT IHR MICH SÜCHTIG AUF DAS ZEUG UND DANN WOLLT IHR ES MIR NICHT GEBEN? No, additionaly, please!

Wahrscheinlich kennen alle außer mir, ich wusste echt nicht was ein Hash Brownie ist, das Zeug. Jedenfalls ist es, wie wir Oberpfälzer sagen, ein Dotsch, andere nennen es wohl Reibekuchen. Grob geriebene Kartoffeln, zu einem Fladen herausgebacken. Ich bin total süchtig auf das Zeug. Selbst jetzt beim schreiben läuft mir das Wasser im Munde zusammen. Ich glaube ich muss nach dem Urlaub in Therapie gehen. Aber leider gibt es das nur als i-Tüpfelchen zu den Frühstück-Combos.

Jetzt nur noch zahlen, und kurze Zeit später gibt es das Bestellte an der Essenausgabe zum abholen.

Einen Profi erkennt man an der Bestellung: One combo number 4 to stay with large coffee, one cream, and an extra Honey Dip donut please. – Someting else? – No, thank you. – You're welcome.

Na also, geht doch. Aber ich glaube trotzdem, dass der Kurs der Renner wäre. Zumal, ihr wollt echt nicht wissen, welche Komplikationen sich aus der Bestellung eines Chilies ergeben. Aber auch hier gilt, am Ende lohnt sich jede Mühe.

Jedenfalls habe ich es nur bis Nanton geschafft. In der Eisdiele habe ich, neben einer Kugel Maple Walnut, noch die Info bekommen, wo ich den blöden Campground finden kann. Erst wenn man 100 Meter vor ihm steht, ist er ausgeschildert. Der Verkäufer in der Eisdiele sagt, er habe die erste Zeit, nachdem er aus Calgary hierher gekommen war, selbst auf dem Campground gewohnt. Er sei sehr ruhig. Naja. Mit der Ruhe auf Campgrounds hier ist es so eine Sache. Der hier liegt z.B. ziemlich nahe am Highway, und die Lastwagenfahrer kennen ja nichts. Die Maschine muss schon ordentlich knattern. Aber üblicherweise liegen Campgrounds direkt an der Bahnstrecke. Und wenn sich so ein 3 km langer Güterzug im Schneckentempo, was dann gefühlt eine halbe Stunde dauert, vorbeischiebt und dabei alle 10 Sekunden tutet, weil sich irgendwo ein Bahnübergang befindet, dann ist so ein ordentlicher Highway schon eher ruhig. Und dann kommt der Gegenzug. Der musste ja auch eine halbe Stunde warten bis er endlich darf.

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